Heute schreiben wir eine bösartige Kolumne. Die Bösartigkeit hat ein simples Schema. Wir zitieren, was unsere Journalisten vor einem Jahr über Barack Obama geschrieben haben. Vor einem Jahr wurde Obama als US-Präsident wiedergewählt. Der einsichtige, aufgeschlossene und liberale war bekanntlich ein Glücksfall für die Welt.
„Zum Glück für die Welt hat Obama gesiegt“, so jubilierte damals der Tages-Anzeiger. Obama, so schwärmte die Berner Zeitung, hat die „Einsicht in die Grenzen der amerikanischen Macht“. Obama, so huldigte der Blick, steht für ein „aufgeschlossenes Amerika“. Obama, so pries die Aargauer Zeitung, ist ein „Urgrund liberaler Existenz“.
Wir könnten nun weitere fünfzig Lobeshymnen von liberalen Schweizer Journalisten auf den liberalen Herrn Obama zitieren. Wir lassen es. Man kann Grausamkeit auch übertreiben. Ich kann mich erinnern, wie es war vor einem Jahr. Wenn ich damals in einer Journalistenrunde sagte, ich hielte Mitt Romney für den fähigeren Kandidaten, dann schlug mir lautes Gelächter entgegen. Alle dachten, ich hätte einen besonders lustigen Witz gerissen.
In Deutschland muss es ähnlich gewesen sein, wie der Kolumnist Jan Fleischhauer beschreibt. An den Wahlpartys in Berlin, so sagt er, „war ich einer von drei Leuten, die keinen Obama-Button trugen“. Wer hierzulande keinen Obama-Button trug, bekam gehörig eins auf die Rübe. Markus Somm etwa, Chefredaktor der Basler Zeitung, warnte in einem Wahlkommentar vor einem geistig entwurzelten Obama und dem „antiliberalen Amerika, das ihm vorschwebt“. Prompt konterte Daniel Binswanger aus dem Hause Tages-Anzeiger, das sei „dermaßen dümmlich, arrogant und rassistisch, dass es einem schlicht und einfach die Sprache verschlägt“.
Nun, der Button ist ab. Der Oberspion aus dem Weißen Haus verantwortet, wie man nun aus den Medien weiß, den größten Angriff gegen Liberalismus und Freiheit seit dem Zweiten Weltkrieg.
Warum sind Journalisten derart naiv?
Sie sind nicht naiv. Journalisten, das ist ihr Hauptproblem, sind denkfaul. Selten lehnen sie sich zurück, überlegen nüchtern und bilden sich eine eigene, unabhängige Meinung. So würden sich Individualisten verhalten.
Journalisten sind leider keine Individualisten. Sie sind Herdentiere. Sie fühlen sich nicht geborgen in der Kälte der persönlichen Meinung. Sie fühlen sich geborgen in der Wärme der kollektiven Gewissheit.
Gerade bei Obamas National Security Agency (NSA) zeigt sich dieser Zug sehr schön. Als 2011 Osama Bin Laden aufgespürt wurde, berichteten die Medien unisono und begeistert darüber, dass dies der flächendeckenden Überwachung des Mail-, Telefon- und Internetverkehrs durch die NSA zu verdanken war. Jeder Narr wusste schon damals, dass diese Methode wohl kaum nur in Pakistan angewandt wurde.
Heute nun berichten die Medien unisono und entrüstet darüber, dass die NSA den Mail-, Telefon- und Internetverkehr weltweit ausspioniert. Wer sich als Leser nun ein nuanciertes Abwägen der zunehmenden Überwachung gegen den abnehmenden Terrorismus erhofft, wird lange warten. Wiederum triumphiert die bequeme Trägheit des Verkürzens über die harte Arbeit des Differenzierens. Nun muss man die Journalisten auch in Schutz nehmen. Sie sind nicht die Einzigen, die zur Denkfaulheit neigen.
Schon in seinem ersten Amtsjahr bekam Barack Obama den Friedensnobelpreis. In der Begründung des Komitees stand ein Satz, wie ihn kein Journalist besser hinbekommen hätte. Obamas Führung basiere „auf der Grundlage von Werten und Haltungen, die von der Mehrheit der Weltbevölkerung geteilt werden“.
Erstveröffentlichung: Die Weltwoche Nr. 46 / 2013
Bildquelle: rob.rudloff / Flickr CC
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